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Kleine Eindrücke vom spanischen Leben …

28. Juni 2006

… wunderbar geschrieben von Sabine Fröhlich (meiner Noch-Arbeitskollegin). Lesen lohnt sich und wer nicht schmunzelt, der muss unbedingt noch mal vorbei kommen!

Barcelona

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Über Barcelona zu schreiben ist von dem frustrierenden Wissen begleitet, dass alles Gesagte nicht darstellen wird, was ist. Und weil schon in jedem Reiseführer über jede denkbare Stadt von Vielseitigkeit die Rede ist, oder von Kontrasten, wollte ich den Schmarren nicht wiederkäuen um B wie Barcelona davor zu schreiben. Aber – was mach’ ich, wenn das mit den Kontrasten genau dieses Mal zutrifft, oder sogar das einzig Zutreffende und somit essenziell ist?! Wir werden nicht daran vorbeikommen. Sagen wir’s also so:

Barcelona schäumt über von berauschender Widersprüchlichkeit.

Die Stadt scheint sich zu wandeln, schneller als man hinsehen kann, schneller als man langsam gehen könnte, um es zu vermeiden. Barcelona ist klein. Wenig Fläche, dafür rund drei Millionen agierende Individuen auf eben diesem limitierten Raum. Hinter jedem zweiten Eck sieht die Welt dann ganz anders aus als gerade eben noch. In wenigen Schritten kann man von Designer-Shoppingmeilen in Viertel mit garantierter Live-Schlägerei überwechseln, vorbei an Kartenlegerinnen, Wellensittichverkäufern, Rote-Ampel-Jongleuren und pakistanischen Bierdosenverkäufern.

Hier wirken längst vergangene Zeiten nach, entsteht viel Modernes dazu, jede Menge Läden warten mit mitunter sehr schrägen Waren auf, Kioske mit Werken der Weltliteratur direkt neben Porno-DVDs liegend. Viel illegaler Handel macht sich breit, nicht nur der mit Drogen, und jede Form von Prostitution. Im Angebot: Transvestiten in rosa Rüschen neben dekorativ ihre Leiden zur Schau stellenden und davon Spenden erhoffenden Invaliden. Ein paar Ecken weiter gehen dann edel bekleidete Menschen anspruchsvollen kulturellen Interessen nach oder in Restaurants, in denen ein Abendessen ein durchschnittliches spanisches Monatseinkommen verschlingt und der Tisch manchmal ein Jahr im Voraus reserviert werden muss. Wie bunte Streusel fügen sich immer und überall Touristenscharen ein, dicht gefolgt von Herden optisch weniger auffälliger hauptberuflicher Handtaschenräuber.

Inselartig verstreut erkennt man noch ehemals idyllische kleine Dörfer, die in die Stadt eingewachsen sind. Zum Meer hin fühlt sich alles nach übriggebliebener Fischerkolonie an, nur neu bewohnt. Dazwischen liegt das pure Mittelalter (obwohl, die Leute leeren jetzt seltener die Nachttöpfe aus dem Fenster), im „Barrio gótico“. Da singen Opernsänger unter uralten Torbögen, oder junge Paare tanzen am Stöckelpflaster argentinischen Tango. Gänsehautverdächtig!

Dadurch, dass in Barcelona alle Welt leben will, seit neuestem auch ich, sind die Preise geradezu abenteuerlich, aber die Gehälter und was entsprechend zu holen ist, sind dabei ganz bescheiden spanisch geblieben. So kommt es, dass hier jeder Durchschnittsbürger zwei Jobs und drei Mitbewohner hat, um bestehen zu können.

Immer dann, wenn man das Dasein dieser Art gerade nicht verflucht und sich statt dessen mittragen lässt, ja mitreißen, von der endlos pulsierenden Metropole - weiß man, wissen alle, dass es jeden Moment wert ist. Das Leben hier ist schön, intensiv, schwer und bedeutungsvoll. Jeder Tag scheint in die Geschichte einzugehen und alle tragen irgendwas ins Drehbuch hinein.

Ich bin in diesem Land, weil es mir in Österreich zehn Monate im Jahr zu kalt ist. Ich bin gerne hier, und konsequent genug, mich niemals über die Hitze zu beschweren. Aber es gibt sie. Für viele in nordisch ausgelegten Körpern Wandelnde ist jetzt die Zeit erhöhten Aspirinkonsums.

Cremen in Tuben oder Lippenstifte verändern ungefragt ihren Aggregatzustand. Das Atmen ist anstrengend im Freien, und grauslich in geschlossenen Räumen. Solchen wie Autobussen, U-Bahnen, oder Büros, in denen es plötzlich die typischen Ja-wir-haben-eine-Klimaanlage-Temperaturen von geschätzten 10,5 Grad Celsius nebst obligatorischem Gestank nach altem Gummi mit noch irgendwas hat. Sogar im Gran Liceu (Theater-/Opernhaus) de Barcelona übertreibt man die thermische Korrektur gerne mal, und so manche Kulturinteressentin im flatternden Kleidchen kam schon blaulippig wieder auf das erlösend warme Pflaster der nächtlichen Rambla heraus. Gewinner des Gebrauchs all der kalten Keimschleudern ist die Pharmaindustrie, die uns mit richtigen Sommererkältungskampagnen versorgt, etwa für Lutschtabletten mit dem Claim „Diesen Sommer lässt du dir nicht wieder von deinem Hals verderben.“

Ich selbst bin ja ein GIRI, keine Frage. Giris nennen die Barcelonesen die Zuag’rasten, die, die keine Katalanen sind und schon gar nicht katalanisch sprechen. Ich bin ein Giri, aber nehme mir als residenter Giri immer noch das Recht, mich über andere Angereiste aufzuregen. Über die Barcelona-Touristen. Der klassische Tourist zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er unendlich viel Zeit hat. Ungeachtet der Einheimischen und der hier lebenden Giris, die eventuell ein Ziel verfolgen oder einer Arbeit nachgehen und daher von A nach B müssen, bleibt der Barcelona-Tourist gerne mal in großen Gruppen oder individuell stehen. So etwa alle zwei Meter, um den Himmel über der Stadt oder ein weiteres architektonischen Highlight zu bestarren. Auch wenn ich (etwa in dritter Reihe) an einer Fußgängerampel warte, weiß ich schon, dass, nur weil die Ampel auf Grün umschaltet, ich nicht etwa damit rechnen kann, dass sich vor mir auch tatsächlich innerhalb von 30 Sekunden ein Mensch in Bewegung setzten würde.

Rein äußerlich haben Barcelonas Sommerbesucher viele Erscheinungsformen, so zwischen elfengleichen, wenn auch sonnenverbrannten, zierlichen Schwedinnen und kolossalen Bauch-Badehosen-Burger-tragenden Prototypen. Was allerdings seit jeher so gerne in Reiseführern geschrieben wird, man selbst (und auch der freiberufliche Taschendieb) erkenne die Touristen stets daran, dass sie weniger und scheußlicher angezogen seien „als ein Spanier je herumlaufen würde“ - das stimmt so nicht. Die Spanier sind durchaus selbst in der Lage, sich scheußlich anzuziehen.

Von - Barcelona oder mich -Besuchenden werde ich übrigens häufig gefragt, was man denn so wissen sollte, um hier zu überleben, ja insbesondere in welchem Ausmaß Sicherheitsvorkehrungen gegen die Kriminalität angebracht seien. Ich halte hier Folgendes fest: Gegen den Verlust seines Eigentums hilft es, wach zu bleiben und sich das auch ansehen zu lassen. (Und nicht mit Stadtplan und Kamera vorne und zwei offenen Rucksäcken hinten minutenlang die Sagrada Familia hinaufstarren.) Was wirklich beim Überleben hilft, ist das Wissen um die Stellung, nein, nicht die der Frau, sondern die des Fußgängers im Straßenverkehr:

1) Ein Zebrastreifen ist ein reines Deko-Element.

2) Eine etwaige in Betrieb befindliche Ampel hat keinen Pensionistenpuffer wie in Österreich programmiert. Springt also etwa eine Fußgängerampel auf halbem Wege auf von Grün auf Rot (nein, Blinken is’ nicht), so empfiehlt es sich, auf der Stelle im Asphalt zu versinken oder alternativ zu rennen, was die Haxn hergeben.

Wichtig auch 3): Am Gehsteig ist mit Gegenverkehr zu rechnen, durchaus auch mit solchem durch Motorräder oder nicht etwa langsamere Fahrradfahrer.

SITGES

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Meinen ersten richtigen Strandtag der Saison habe ich in Sitges, südlich von Barcelona verbracht. Ich bin in der Sonne eingeschlafen und – trotz exzessiven vorausgegangenen Eincremens, da ich ja ohne vorrangigen Hautkrebswunsch lebe – mit gröberen Verbrennungen wieder erwacht. Grad dass mir keine Asche aus dem Rücken gefallen ist. (Und gut, dass ich nie übertreibe. )

In Sitges übrigens ist die Bevölkerungsstruktur eine interessante. Der Anteil Heterosexueller, der in Barcelona schon tiefer als sonst wo liegt, ist verschwindend klein. Oder, sinngemäß übersetzt in den Worten meines mexikanischen Freundes Santi vor Ort: „Wenn es Nacht wird, ist hier sogar der Mond schwul.“ Sehr positiv übrigens wirkt sich die Schwulness des Ortes in der Dichte ungewöhnlich interessanter und edel sortierter Herrenmodengeschäfte aus. Sitges ist neben einem Einkaufszentrum für Männer auch ein Touristenort, wodurch seltsame Gewerbe nicht lange auf sich warten lassen. Alle 30 Sekunden spätestens schreit einem am Strand irgendwer, der Massagen oder bunte Pareos anbietet, in seltsamen Sprachversuchen und Tonlagen in Ohr. „Hola guapa, you buying Handtasche!?“, „Agua, Cerveza, Fanta!“ „Coco freeeeeeeeeeesco, coco freeeeeeeeesco!“ Ich nix buying Handtasche. Nicht mal Kokosnuss. Weil ich gehe jetzt nach Hause, con permiso.

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1 Jahr Barcelona und vielleicht zurück. Oder doch nicht?!

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